Kastration beim Rüden
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Ja, nein, vielleicht?! Das ist keine leichte Entscheidung und gesetzlich grundsätzlich sowieso erst einmal verboten. Da es sich um einen operativen Eingriff an einem (meist) gesunden Tier handelt, ist das wohl auch absolut nachvollziehbar.
Mit diesem Beitrag möchte ich keine weitere Diskussion anzetteln oder erneut das Pro und Kontra einer Kastration aufzeigen, sondern lediglich ein wenig von meinen eigenen Erfahrungen rund um dieses Thema berichten. Vielleicht findet sich der ein oder andere in manch einer Aussage von mir wieder.
Kurz vorab: Wir haben Charly, ein Labrador-Beagle-Mix, im Alter von etwas über zwei Jahren aus einem Haushalt mit einem weiteren jüngeren Rüden übernommen. Die Unverträglichkeit der beiden Hunde wurde mit zunehmenden Sexualtrieb immer schlimmer und drohte zu eskalieren. So nahmen wir Charly in unsere Obhut. Er war damals unkastriert und sollte es auch bleiben.
Hier bei uns im Ort leben unglaublich viele Hunde, davon zahlreiche unkastrierte Hündinnen, die natürlich alle zu unterschiedlichen Zeiten läufig sind :-(. Durch das überdrehte und nervöse Verhalten von Charly, zeichnete sich erst im Laufe der Zeit ab, wie sehr er unter der ständigen Konfrontation mit dem Duft der heißen Damenwelt und seinen unterdrückten Trieben tatsächlich litt. Er saß immer häufiger heulend vor der Tür, er lief teils Tag und Nacht rastlos umher, er verweigerte zeitweise das Futter (Labrador + Beagle = Fressmaschine), bestieg unaufhörlich diverse Dinge und weinte und weinte und weinte. Von seinem permanenten Stress draußen, möchte ich hier gar nicht erst anfangen. Letztlich blieb Charlys Prostata (fast) dauerhaft geschwollen. Nun wurde es also doch Zeit, sich mit dem Thema "Kastration" auseinanderzusetzen.
Charly (mittlerweile 4,5 Jahre alt) bekam zunächst einen Hormonchip (Wirkung 6 Monate) gesetzt. Leider gingen seine Triebsymtome nur sehr schwach (nach ca. 6 Wochen) zurück. Der Chip wirkte für unseren Extremschnüffler also nur bedingt. Zumindest sollte man mit der chemischen als Vorläufer einer operativen Kastration Verhaltensänderungen, wie gesteigerte Aggression oder Ängste, erkennen können. Das war hier nicht der Fall!
Die "richtige" Kastration erfolge als der Chip noch wirkte (nach ca. 5 Monaten) und die Hoden noch nicht wieder die volle Größe erreicht hatten. Ach, was hätten wir Charly die OP gerne erspart. Kunterbunt färbte sich alles rund um die Wunde und es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis die Schwellung zurückging, das Wundwasser komplett abgeflossen war und er sich mental erholt hatte. Später erfuhr ich, dass die Art und Weise der Wundheilung darauf hindeutete, dass bei seiner OP mehr gerissen als geschnitten wurde :-(.
Sein Gewicht hat Charly dank ausreichender Bewegung bis heute mit fast 7 Jahren ganz gut gehalten und sein Fell hat sich auch nicht großartig verändert. Er schläft wieder gut, kann zuhause abschalten, die Prostata ist nur noch ab und an geschwollen und Fressmaschine is back! Er ist immer noch extrem triebgesteuert und leidet, wenn Läufigkeit in der Luft liegt. Aber das ist bei weitem kein Vergleich mehr zu seiner damaligen Not. Sein Frust gegenüber fremden unkastrierten Rüden ist nahezu weg. Seine heftige Wut gegenüber altbekannten unkastrierten Rüdenfeinde ist ungebrochen.
Allerdings kommt jetzt noch das große ABER: Schnell kam es zu Verhaltensänderungen bei Charly. Er war plötzlich sehr ängstlich. So ängstlich, dass er sich zeitweise versteckte, wenn Gassizeit war. Charly war noch nie ein souveräner Hund, aber nicht raus zu wollen und mit eingezogener Rute durch die Welt? Das war neu und echt traurig. Zusammengenommen mit seiner Nervosität wurde das zu einer neuen echten Herausforderung für uns. Mit viel Ruhe und Geduld konnten wir das Ganze wieder in fast normale Bahnen lenken. Dennoch gibt es Phasen, in denen die Angst Charly wieder voll im Griff hat.
Mein Fazit: Eine Kastration ist ein heftiger körperlicher, mentaler und vor allem hormoneller Eingriff. Der komplette Hormonhaushalt des Hundes gerät dabei mächtig aus dem Konzept. Dessen waren wir uns stets bewusst und dennoch ist Charly genau der Typ Hund, bei dem medizinisch Bedarf einer Kastration bestand. Eins sollten wir vielleicht alle bedenken: Der erste Eingriff des Menschen besteht bereits darin, den Hunden zu verwehren, ihren natürlichen Trieben folgen zu dürfen! Alles weitere hängt wohl davon ab, welcher Leidensdruck für das einzelne Tier größer ist.
Für Charly: Ein klares Ja zu unserer Entscheidung für die Kastration.
Text: Sandra Ullrich, Foto: © icarmen13 - stock.adobe.com